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Artikel veröffentlicht am 17.11.2021 um 07:00 Uhr

Hendrik Baumgart im Interview: "Der Modus ist ein schlechter Witz!"

INTERVIEW Die umstrittene Gruppenphase in der Landesliga Nordost findet am Samstag ein Ende. In Gruppe B kommt es dabei noch zu einem echten Schmankerl, wenn der bislang alles überragende TSV Kornburg im Derby den SC 04 Schwabach erwartet. Im fussballn.de-Interview der Woche begibt sich Kornburgs Trainer Hendrik Baumgart (44) auf eine Zeitreise seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren - als es ein 0:4 gegen Schwabach gab.

Von Marco Galuska

Hendrik Baumgart, seit Oktober 2019 Trainer beim TSV Kornburg.

fussballn.de / Oßwald

Welche Erinnerungen hast Du an das letzte Heimspiel mit Kornburg gegen den SC 04 Schwabach vor rund zwei Jahren?

Hendrik Baumgart: Daran kann ich mich gut erinnern! Ich hatte gerade die Mannschaft übernommen und das war mein erstes Heimspiel. Ich hatte mit der Mannschaft genau besprochen, was uns erwartet. Wir waren aber nach drei, vier Einheiten noch nicht in der Lage das über 90 Minuten umzusetzen. Nach 60 Minuten zerfielen wir dann wie ein Kartenhaus. Schwabach war damals nicht unsere Kragenweite.

Eine Schätzfrage: Wie viele Spieler von damals sind aktuell noch im Kornburger Kader?

Baumgart: Es sind Ockert, Lessmann, Schulik, Klier, Burgutzidis, Seiler, Kreiselmeyer, Ammon - gar nicht so wenige, das hatte ich bei allen Transfers immer im Blick.

Hendrik Baumgart bei seiner Premiere als Kornburger Trainer im Heimspiel gegen den SC 04 Schwabach.

fussballn.de / Pesteritz

Der Spielbericht von damals endete wie folgt: „In Kornburg gibt es für den neuen Coach sehr viel Arbeit, denn gerade spielerisch ist die Mannschaft seit Monaten in einem Dauertief.“ Wie viel Arbeit war es, die vom Amtsantritt bis heute auf dich als TSV-Trainer zukam?

Baumgart: Meine Gefühle nach diesem Spiel habe ich damals in Worte gefasst und zur Mannschaft gesagt: „Diesen ganzen Scheiß habe ich schonmal erlebt..." Nämlich ein Jahr zuvor in Seligenporten, wo wir bis Ende August 2018, also bis zum 12. oder 13. Spieltag überhaupt kein konkurrenzfähiges Bayernliga-Team hatten und so ziemlich jeden genommen hatten, der Fußball spielen konnte. Und sogar das war schwer, denn da waren zum Teil ganz verrückte Typen beim Probetraining am Platz gestanden, die gingen gar nicht. Da waren wir dann im August Letzter, am Ende im Mai halt Fünfter. Somit war ich also dennoch zuversichtlich und spätestens zwei Wochen nach dem Schwabach-Spiel mit dem ersten Sieg hat die Arbeit ja auch angefangen richtig Spaß zu machen.

Gehen wir in der Zeitreise zwei Jahre zurück: Niederlage gegen Schwabach, Niederlage in Buch und ein Sieg gegen Vach. Was passierte im Winter 2019/20 in Kornburg?

Baumgart: Wir haben versucht, die Mannschaft zu entwickeln und parallel den ein oder anderen Spieler für uns und den Klassenerhalt zu gewinnen. Das war sehr schwierig, fast keiner hatte Interesse an der Landesliga und unserem Projekt. Mit den Transfers von Jonas Anschütz, Tim Olschewski und Danilo Dittrich haben wir den Bock umgestoßen, der Erfolg wurde nachhaltig und inzwischen ist es perspektivisch gerade eher andersherum.

Am 7. März 2020 gab es einen 2:1-Derbysieg in Großschwarzenlohe. Auch hier die Schätzfrage: Wie viele aktuelle Kaderspieler standen damals schon in der Startelf?

Baumgart: Ich habe nicht nachgeschaut, aber es könnten von den oben genannten sechs gewesen sein - plus Dittrich und Olschewski.

Mit Neuzugang Danilo Dittrich am Ball, mittlerweile spielender Co-Trainer in Kornburg, gelang am 7. März 2021 ein 2:1-Derbysieg in Großschwarzenlohe auf dem Weg zum Klassenerhalt.

fussballn.de / Pesteritz

Es waren neun Spieler in der Startelf! Wie fällt der Vergleich des Derbys von 2020 mit dem vom vergangenen Sonntag in Großschwarzenlohe aus?

Baumgart: 2020 in Abstiegsgefahr ging es nur darum die drei Punkte zu holen. Es war das erste Spiel nach der langen Winterpause, viel Kampf und Krampf - ein Derby halt, das ist immer schwierig. Es war kein Glanzspiel, nur die Punkte haben gezählt.
Inzwischen sind wir sehr gut eingespielt, die Mannschaft befindet sich gerade in einer topfitten Verfassung und wir sind in der Lage, unsere Spielidee Woche für Woche konsequent umzusetzen. Beide Spiele waren extrem wichtig, ansonsten sind die Auftritte nicht zu vergleichen, das hat man ja auch gesehen.

Wir bewegen uns weiter in der Zeitachse und erleben nach der ersten Corona-Pause eine dominante Kornburger Mannschaft, die in Testspielen für Aufsehen sorgt und 2020 alle Punktspiele gewinnt. Was waren die Stellschrauben zu dieser Entwicklung?

Baumgart: Eine glückliche Kombination von vielen Faktoren. Wir haben im Verein ein tolles Umfeld für diese Liga, durch das vieles möglich gemacht wird, viele Freiwillige, die inzwischen gerne für TSV Kornburg mit anpacken. Dazu mit Josef Maiser einen Sportlichen Leiter, der mit ganz großem Herzblut dabei ist, eine Mannschaft, die nicht nur aus super Fußballern, sondern auch aus außergewöhnlichen Charakteren besteht. In der Summe eine Truppe, die sich permanent weiterentwickeln will! Das zeigt sich auch an unserem neuen Fanclub, der die Mannschaft auch auswärts sehr lautstark unterstützt. Weltklasse!

Die Ambition lag ja im Herbst 2020 im Gewinn des Ligapokals. Mit welchem Ziel ist man Anfang 2021 auf den Trainingsplatz gegangen, obwohl immer mehr abzusehen war, dass es diesen Wettbewerb nicht mehr geben wird?

Baumgart: Wir haben ab Januar 2021 daraufhin trainiert, diese kleine Chance aufrechtzuerhalten, um sofort einsatzbereit zu sein, falls es losgehen sollte. Gleichzeitig war aber auch immer die langfristige Perspektive klar: Wir machen das auch für eine neue Saison. Es ist natürlich sehr sehr befriedigend, wenn man dann sieht, dass sich der ganze Einsatz auch gelohnt hat.

Mit langem Anlauf zum Ziel? Seit über zwei Jahren ist der TSV Kornburg in Pflichtspielen ungeschlagen.

W. Janz

Nun war und ist es ein extrem langer Anlauf für ein Ziel. Wie gelingt es einem Trainer die Spannung aufrechtzuerhalten?

Baumgart: Das geht nicht alleine. Wir haben sehr viel Abwechslung reingebracht. Mit "wir" meine ich meinen spielenden Co-Trainer Danilo Dittrich, mit dem ich viele tolle Fitnessvideos für das Team gedreht habe. Aber auch jeden einzelnen Spieler, da sich alle auf meine wöchentlichen Laufwettbewerbe in Runtastic über Monate zuverlässig eingelassen, dazu selber Videos mit Technikaufgaben erstellt haben und sich jeder in den Videokonferenzen eingebracht hat, um den Kontakt aufrechtzuhalten.

Nach der langen Pause war der Kader zum Saisonstart 2021/22 zwar stark besetzt, aber relativ klein. War das ein kalkuliertes Risiko, zumal man ja mit Verletzungen nach der langen Wettkampfpause rechnen musste?

Baumgart: Ja, das war echt riskant! Das lag aber auch an dem sehr bedauerlichen kompletten Ausfall von Frank Kirschner, der mit seiner Verletzung schon kam und leider immer noch nicht einsatzfähig ist. Dazu ein ungeplanter Abgang und ein zweimonatiges „Spontan-Praktikum" - und auf einmal hast du nur zwölf Feldspieler mit dabei. Aber unser guter lang aufgebauter Fitnesslevel hat uns wirklich vor einer Misere bewahrt.

Heute vor exakt zwei Monaten gab es ein 2:2 im Spitzenspiel gegen Schwabach. Was ist von der Partie in Erinnerung geblieben?

Baumgart: Ich habe zu lange gezögert, auf Schwabachs Taktik zu reagieren und hätte mehr auf mein Bauchgefühl hören sollen. Aber im Nachhinein lässt sich so was eh leicht sagen, aber das nehme ich für mich daraus mit. So haben sie uns in der ersten Halbzeit das Leben sehr schwer gemacht. Am Ende war es ein spektakuläres Fußballspiel.

Im Rückblick auf das 2:2-Remis im Hinspiel in Schwabach gibt sich Hendrik Baumgart besonders selbstkritisch.

Yasin Mülayim

Nach dem Spiel ist es euch erneut gelungen, keinen einzigen Punkt abzugeben. Wie nahe spielt die Mannschaft derzeit an deiner Idealvorstellung?

Baumgart: Kein Sieg ist selbstverständlich - egal gegen wen! Das nehmen wir uns immer zu Herzen. Natürlich ist diese erreichte Punktzahl gigantisch, das ist absolut außergewöhnlich. Wir spielen einen attraktiven und erfolgreichen Fußball - allerdings nun mal in der 6. Liga. Als Trainer bin ich, aber auch die Mannschaft, selten komplett zufrieden. Das ist auch gut so, denn es gibt immer genug Dinge, die man besser machen kann und das bringt uns auch voran.

Die Gegenwart sagt auch, dass ihr bisher 13 Punkte aus fünf Partien in die Aufstiegsrunde mitnehmen werdet. 30 Punkte werden nach der Gruppenphase gestrichen. War die Entscheidung für den Modus ein Fehler?

Baumgart: Der Modus ist ein schlechter Witz und daraus mache ich auch kein Geheimnis! Wenn man als Spielleiter so ein System vorschlägt, dann sollte man es auch komplett zu Ende denken. Damit meine ich, dass vor einer Woche erst aufgefallen ist, dass ja die letzten Spiele der Vorrunde gleichzeitig stattfinden müssen, woraufhin alle von der Spielleitung verlegt wurden. Vor einer Woche!! Ich habe Spieler, die am Samstag arbeiten müssen. Das zeugt für mich jedenfalls nicht von gut durchdacht. Unsere Meinung war zudem aus vielfältigen Gründen von Beginn an klar dagegen. Auch das Corona-Argument lasse ich so nicht gelten, denn wir spielen aktuell genauso lange wie viele andere normale Ligen, stecken also auch wieder voll mit drin, hatten dafür aber im Sommer drei freie Wochenenden…

Blicken wir auf den kommenden Samstag: Der Kreis schließt sich gewissermaßen, wenn wieder der SC 04 Schwabach zum Derby in Kornburg gastiert. Mit welchen Erwartungen gehst du in das Match?

Baumgart: Wir wollen unbedingt gewinnen, denn dann haben wir Schwabach weit distanziert. Wir freuen uns auf ein echtes Highlight und werden es mit Sicht auf die lange Winterpause genießen.

Wie sieht der Fahrplan in der Winterpause aus? Wird es personelle Veränderungen im Kader geben – oder sind gar schon welche fix?

Baumgart: Ich hätte schon gerne noch einen Spieler, um das Risiko mit unserem kleinen Kader zu minimieren. Das ist im Winter schwierig, fix ist noch nichts, ich habe bislang nur ein paar Ideen.

Im Frühjahr steigt die Aufstiegsrunde mit Gegnern aus der Parallelgruppe. Wo könnte die größte Gefahr lauern auf dem Weg zur Meisterschaft?

Baumgart: Durch den Modus kommt es jetzt auf wenige Spiele an. Den Ausrutscher, den wir uns mit 15 Punkten Vorsprung hätten leisten können, gibt es nicht. Verletzungspech im falschen Spiel kann uns die Arbeit von einem ganzen Jahr kosten. Wer aus der anderen Gruppe im nächsten Jahr am besten startet, kann ich momentan noch nicht einschätzen.

Rasanter Fortschritt mit dem TSV Kornburg - gibt es eine Ära Baumgart im Nürnberger Süden?

fussballn.de

Versuchen wir mal die Zeitreise fortzusetzen: Wo steht der TSV Kornburg in einem Jahr?

Baumgart: Das muss die Bayernliga sein! Wir wollen uns dann auch da gerne mit den Topteams messen. Zuerst aber muss jetzt der erste Schritt erfolgen.

Welches persönliches Ziel hat sich Hendrik Baumgart als Trainer gesetzt? Lässt sich eine Ära beim TSV Kornburg prägen?

Baumgart: Ich habe durch die Zusammenarbeit mit Roger Prinzen in Seligenporten, den Austausch mit ihm in Heidenheim und Engin Yanova beim BFV in den letzten vier Jahren unglaublich viel mitnehmen können. Das wird mich auch weiterhin begleiten. Wenn es mit Kornburg weiter so rasant vorwärts geht, hört sich eine Ära auch toll an. Im Fußball geht‘s doch aber oft genug so schnell. Ich glaube, Bodenständigkeit ist eine gute Tugend.