Gerd Lamatsch zum VAR light: "Dann hänge ich sofort die Pfeife an den Nagel!" - fussballn.de
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Artikel veröffentlicht am 06.12.2020 um 06:00 Uhr
Gerd Lamatsch zum VAR light: "Dann hänge ich sofort die Pfeife an den Nagel!"
Der Nürnberger Schiedsrichter Gerd Lamatsch hat sich in seinem Buch "Keller-Schiri", das bereits in einer 2. Auflage erschienen ist, ausführlich mit dem Videobeweis im Fußball beschäftigt. Über die Meldung, dass die FIFA sich auch einen "VAR light" für den Amateurfußball vorstellen kann, schüttelt der 61-Jährige nur den Kopf und hat eine klare Meinung, die er in unserem Interview äußert.
Von fussballn.de
Schiedsrichter Gerd Lamatsch hat sich als Buchautor mit der Video-Schiedsrichterei ausführlich befasst, eine Umsetzung im Amateurfußball hält er für wenig praktikabel.
fussballn.de / Kögel
Mitte November vermuteten viele einen verspäteten April-Scherz, als der „VAR-light“ von der FIFA für alle Stufen des Fußballs in Aussicht gestellt wurde. Kam das überraschend oder hatte sich das schon angebahnt?

Gerd Lamatsch: Also als ich das das erste Mal las, dachte ich wirklich spontan an einen Aprilscherz. Es war auf keinen Fall damit zu rechnen. Nachdem der VAR ja selbst im Profifußball bis heute nach dreieinhalb Jahren Praxis immer noch umstritten und gefühlt mehr geduldet als akzeptiert ist, wie ich es auch in meinem Buch festhalte, war das ein Hammer. Dass die FIFA gerade zu diesem Zeitpunkt mit einer sehr vagen Andeutung kommt, ist für mich reine Nebelkerzenpolitik, um von ihren aktuellen echten Problemen ein wenig abzulenken. Da könnte man sicher ein eigenes Buch verfassen. (lacht) Transparenz war aber noch nie eine Tugend der FIFA. Das wird sich auch so schnell nicht ändern!

Wie könnte ein Videobeweis bei einem Kreisklassisten in Zukunft aussehen?

Lamatsch: Wenn man sieht, welcher technische und organisatorische Aufwand im Profibereich notwendig ist, tue ich mich jetzt wirklich sehr schwer mit einer realistischen Vorstellung. Man benötigt mindestens eine Kamera, (welche Bildqualität hat man?), eine separate Review-Area (soll das ein Laptop sein?), und einen Kollegen, der den aktiven Schiedsrichter organisatorisch unterstützt. Wie wir alle wissen, kann man mit einer Kamera alleine sicher keine belastbaren kalibrierten Linien erzeugen. Das Abseits wäre dann schon mal komplett außen vor. Bei allen Spielen mit oder ohne Gespann benötigt man dann einen weiteren ausgebildeten Schiedsrichter, der als VAR fungiert.

...dabei kämpft der Fußball an der Basis mit Schiedsrichter-Mangel.

Lamatsch:
Richtig! Wir haben ja jetzt schon nicht genug aktive Kollegen, um alle Spiele zu besetzen. Die Anzahl der aktiven Schiedsrichter in Deutschland ist von über 80.000 auf ca. 58.000 in den letzten 15 Jahren gesunken. Wer soll dann bitte am Ende den VAR spielen? Und dann möchte ich gar nicht wissen, welche Kommentare die Zuschauer dann noch loslassen würden. Bei jeder umstrittenen Szene wird dann der Schiedsrichter lautstark unter Druck gesetzt. Also nein – VAR in der Kreisklasse, Kreisliga oder Bezirksliga ist für mich Stand heute und in den nächsten Jahren ein No-Go.

Als ehemaliger Schiri mit Profierfahrung und langjährig aktiver Referee im Amateurfußball – was hält der „Keller-Schiri“ von so einer Möglichkeit an der Basis?

Lamatsch: Der Videobeweis ist zunächst ein klarer Tribut der FIFA an den profitorientierten Profifußball, wo es um riesige Summen geht. Die Nachteile liegen klar auf der Hand: Fußspitzenabseits, kalibrierte Abseitslinien, verzögerter Torjubel, unübersichtliche Handspielregel und Immer weniger Nettospielzeit rauben dem Spiel die Seele und die Emotionen. Unabhängig von der technischen und monetären Umsetzbarkeit halte ich den Videobeweis im Amateurfußball in den unteren Klassen in absehbarer Zeit sowohl für sinnlos, als auch für überflüssig und nicht praktikabel. Evtl. maximal ab der Regionalliga aufwärts, wo auch schon viel Geld im Spiel ist. Es gibt aktuell so viele andere Probleme, die vordringlich zu lösen sind (von Corona mal ganz abgesehen): Immer weniger Nachwuchs im Jugendbereich (bei Spielern und Schiedsrichtern), zunehmende Gewalt auf dem Sportplatz, Vereinspleiten und Fusionen, weniger Ehrenamtliche für den Spielbetrieb etc. Und daher ganz ehrlich: Spätestens wenn der VAR im Amateurbereich kommen würde, bin ich der Erste, der die Pfeife an den Nagel hängt!

Auch der sechsfache Weltschiedsrichter Pierluigi Colina bekam es schon mit dem Nürnberger "Keller-Schiri" Gerd Lamatsch zu tun.
privat

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Hierzu gilt es folgende Frage richtig zu beantworten:
In welcher Stadt sitzen die Videoassistenten während der Bundesligaspiele?

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Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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Hintergründe & Fakten

Personendaten


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Keller Schiri - Der Weg zum Videobeweis

Taschenbuch, 180 Seiten
Verlag: epubli
ISBN-13: 978-3753101774
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Kurzportrait

Gerd Lamatsch (Jahrgang 1959) stammt aus Nürnberg. Schon als Schüler und junger Fußballer interessierte er sich für das Amt des Schiedsrichters und legte im Alter von 16 Jahren die amtliche Prüfung beim Bayerischen Fußballverband (BFV) ab.

Deniz Aytekin – heute einer der internationalen TOP-Schiedsrichter, der im Juli 2019 erstmals zum DFB-Schiedsrichter des Jahres gewählt wurde – hat sich als ganz junger Kollege bei Lamatsch an der Linie in der Bayernliga- und Regionalliga seine ersten Sporen verdient.

Lamatsch kann auf viele Erfolge zurückblicken. Und noch heute leitet er Spiele in der Kreisklasse, in der A-Klasse und im Junioren-, Frauen- und Seniorenbereich. Sein Heimatverein ist der TB Johannis 88 in Nürnberg.

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