Artikel vom 16.04.2025 07:00 Uhr
Cem Hür führt mit 45 Jahren nicht nur sein Team als Kapitän aufs Feld, sondern auch in der Torjägerwertung der A-Klasse 8.
INTERVIEW Schon vor zwölf Jahren hatte Cem Hür sein Karriereende verkündet. Die Abwesenheit vom Fußball war aber nicht von langer Dauer, vielmehr ist der inzwischen 45-Jährige aktuell Kapitän und Torjäger bei der SGV Merl-Bau. Im fussballn.de-Interview der Woche spricht der derzeit Führende der Torschützenliste in der A-Klasse 8 über die aktuelle Lage bei Merl-Bau, Veränderungen im Amateurfußball und mögliche Ziele.
Hallo Cem, 1:1, 90. Minute, Elfmeter - ist man da auch im reifen Fußballeralter noch nervös am Punkt?
Cem Hür (45): Nervös nicht, man lernt aus Fehlern. (lacht) Bei mir war es irgendwie schon immer so, dass ich stärker geworden bin, nachdem ich wo versagt habe. Nachdem ich eine Woche vorher den Elfer gegen Oberasbach noch an den Pfosten geschossen habe, haben dann schon alle geschaut, wer da jetzt hingeht. Aber ich habe es mir zugetraut, den Torwart ausgeschaut und getroffen. Aber eine gewisse Anspannung ist freilich da, die braucht man auch - wenn man es zu locker nimmt, geht das auch nicht.
Ihr habt mit dem verwandelten Elfmeter 2:1 gegen den ATV 1873 Frankonia gewonnen und mischt weiter ganz oben in der A-Klasse 8 mit. Wie hast du das Spiel gesehen, in das ihr ja als klarer Favorit gegangen seid?
Hür: Gefühlt hatten wir 80 Prozent Ballbesitz und war es über 90 Minuten ein Spiel auf ein Tor. Wir waren zwar extrem dominant, das war auch zu erwarten, weil wir mittlerweile als Mannschaft schon gefestigt sind, haben es aber versäumt, ein frühes Tor zu machen. Frankonia hat sehr defensiv agiert und einen Konter zum 1:0 gut genutzt. Mein Bruder hat dann den Ausgleich gemacht und am Ende haben wir mit dem Elfmeter noch gewonnen. Letztlich war schon der Wille entscheidend, dass wir das Spiel noch gewonnen haben. Man merkt ja aktuell in so vielen Spielklassen, dass das Flattern in der Phase der Saison beginnt.
Gegen einen defensiv ausgerichteten Gegner vom ATV 1873 Frankonia kamen Cem Hür und sein Merl-Bau-Team zu einem späten 2:1-Erfolg.
Jasmin Garcia
Am Gründonnerstag könnt ihr im Nachholspiel gegen die Oldies vom SC Germania III die Tabellenführung übernehmen. Ist es ungewohnt für dich, mal gegen Gleichaltrige zu spielen?
Hür: Ja, das ist ganz komisch! (lacht) Da kommt noch mehr der Wille zur Geltung. Ich messe mich gerne mit jungen Spielern, aber letztlich will ich auch das Spiel einfach gewinnen. Dass das nicht so leicht wird, haben wir im Hinspiel gesehen. Germania hat erfahrene Leute, die höherklassig gespielt haben. Und man weiß ja nie, wer da alles aufläuft. Aber das mit dem Stopfen ist so eine Sache...
Wie meinst du das?
Hür: Na ja, ich finde schon, dass gegen uns teilweise viel gestopft wird mit Spielern. Wir selbst konnten das jetzt einmal nutzen. Im Topspiel gegen Oberasbach war bei uns Mert-Ali Sabsiz aus unserer 1. Mannschaft dabei. Wir kennen ihn ja schon lange und er ist ein klasse Fußballer und super Junge, aber an dem Tag hat er einiges an Chancen liegen lassen. Das ist dann vielleicht doch Karma. Es war aber eh ein komplett verrücktes Spiel am Ende, mit je einem verschossenen Elfmeter.
Du hast in Oberasbach trotzdem wieder das Tor zum 1:1-Endstand erzielt und gegen Frankonia schon deinen 20. Saisontreffer markiert. Mit 45 Jahren führst du die Torschützenliste in der A-Klasse 8 an. Wie geht das?
Hür: Grundsätzlich ist bei mir die Liebe zum Fußball immer da! Es macht noch immer so viel Spaß und ich mache mir wohl weniger Gedanken. 50 Prozent finden meiner Meinung nach im Kopf statt, natürlich braucht man auch ein gewisses Ego und Selbstbewusstsein. Ich spüre volles Vertrauen in der Mannschaft und zahle das gerne zurück. Und ich finde es super, die Erfahrung mit der nächsten Generation im Team teilen zu können.
Cem Hür durfte sich bisher für die meisten Torerfolge in der Liga feiern lassen.
Jasmin Garcia
Du hast 1998 deine erste Saison bei den Herren gespielt. Inwiefern hat sich der Amateurfußball aus deiner Sicht im Laufe der Jahre verändert?
Hür: Es hat sich sehr viel geändert! Die Spieler brauchen mehr Streicheleinheiten, man muss aufpassen, wie man Leute anredet. Ich denke, die Älteren, die schon länger am Sportplatz dabei sind, wissen, was ich damit meine. Es nervt ein bisschen, aber ich akzeptiere es. Andererseits bekomme ich auch immer wieder die Hochachtung ausgesprochen, das macht mich, ehrlich gesagt, schon noch stolz. Allgemein würde ich sagen, dass jetzt mehr Athleten und Kraftpakete auf dem Platz sind, aber fußballerisch hat es schon gewaltig abgenommen. Ich war immer ein fairer Spieler und habe es immer akzeptiert, wenn wir geschlagen wurden. Ich kann aber damals wie heute noch immer schwer akzeptieren, wenn wir uns selbst schlagen. Das hat sich für mich nicht geändert! (lacht)
Du bist im Herbst deiner Laufbahn bei der SGV vor mittlerweile sieben Jahren bei Merl-Bau gelandet. Beschreibe mal das Phänomen dieser ehemaligen Privatmannschaft!
Hür: Das ist wirklich eine "Merl-Bau-Familie". Wir haben 30 bis 40 Zuschauer, die regelmäßig mit uns mitfiebern. Dass Günter Merl mit Anhang oder auch Michi Höhenberger uns da von draußen so unterstützen, beispielsweise meine Schwester oder unsere Fotografin Jasmin Garcia immer dabei ist, wir uns schon seit der Kindheit kennen, ist schon sensationell. Diese Wertschätzung von außen merken wir Spieler und wollen es gerne zurückgeben. Der Kern, den wir haben, ist der Wahnsinn! Natürlich kotzen wir uns auch mal richtig an, aber das kann jeder einordnen, denn wir tun auch was dafür, dass man sich bei uns wohlfühlt - und dass wir eine Mannschaft mit Spielern von 19 bis 45 Jahren haben, ist sicher sehr speziell.
Ist ein Aufstieg mit Merl-Bau in die Kreisklasse realistisch oder würde man das dann eher einer 2. Mannschaft im Verein überlassen und in der A-Klasse als Dritte bleiben?
Hür: Natürlich spricht man da schon untereinander. Einerseits gibt es den Ehrgeiz, es zu probieren, andererseits ist die Kreisklasse doch noch eine andere Hausnummer, vor allem in meinem Alter. Altenfurt hat uns letzte Saison schon mal richtig die Grenzen aufgezeigt. Ob es dann noch so Spaß macht, weiß ich nicht. Aber letztlich sind das jetzt nur Gedankenspiele, wir versuchen aber definitiv unsere sehr gute Position zu nutzen, alles Weitere wird man sehen.
Du selbst dürftest schon bei den Ü45-Senioren spielen, bist aber Woche für Woche bei den Herren im Einsatz und hast alle Spiele gemacht. Ist das nicht sogar die größere Leistung als die Anzahl der Tore?
Hür: Definitiv! Ich glaube, ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, aktiv zu sein! Tore sind schön, aber mit 45 Jahren noch 90 Minuten zu spielen und Gas zu geben, ist besonders.
Keine Wehwehchen?
Hür: Doch klar, die Regeneration wird nach 90 Minuten allgemein schwieriger, aktuell hab ich einen lädierten Fuß, ein Zeh ist angebrochen, da schaue ich, dass ich derzeit nur einmal die Woche trainiere und mich dafür von zu Hause aus auf dem Bike fit halte - mit Sauerstoffmaske, das ist gut für die Kondition. Ich spiele auch mit einem Tracker, laufe pro Spiel noch neun bis zehn Kilometer und mache dabei zehn bis zwölf Sprints. Das dann zu sehen, pusht mich tatsächlich.
Cem Hür in der Saison 2012/13, nach der er eigentlich schon mit dem Fußball aufhören wollte.
Sebastian Baumann
Aber mit 32 Jahren wolltest du schon aufhören...
Hür: Es war damals eher so eine Entscheidung der Vernunft, beruflich gesehen, aber vor allem für die Familie. Ich wollte als Papa da sein und da habe ich mir gedacht, entweder hörst du jetzt auf oder dein Ego frisst dich! Meine Kinder sind jetzt 16 und 13 Jahre als. Ich habe die Entscheidung nie bereut, freilich könnte man grübeln, was möglich gewesen wäre, wenn ich komplett dabei geblieben wäre. Ich sehe es aber anders: Merl-Bau ist dafür jetzt ein absoluter Bonus für mich, ich habe dort viele Freunde dazugewonnen, wir haben eine richtig gute Achse im Team und ich genieße es total.
Ein neues, finales Karriereende steht also noch nicht fest?
Hür: Ich hoffe, dass ich verletzungsfrei bleibe. Ich gehe weiter mit voller Pulle in die Spiele, eine extreme Verletzung wäre jedoch sicher schwer. Aber ich bin mit allem im Reinen, ich wäre auch nicht böse, wenn ich aufhöre. Das ist alles okay so!
Kurzfristig lautet das Ziel Aufstieg mit Merl-Bau?
Hür: Ja, es geht jetzt in die heiße Phase. Da entscheidet sich, wer am Ende den längeren Atem hat. Gegen die oberen Mannschaften haben wir eine positive Bilanz, gegen Zirndorf müssen wir noch spielen, aber es gilt wirklich - auch wenn es schon so oft gesagt wurde, dass man es kaum noch hören kann - von Spiel zu Spiel zu denken. Es fängt jedes Spiel bei null an. Und es wird keiner locker lassen.
Die Torjägerkanone wäre dann noch ein persönliches Highlight für dich?
Hür: Da sind in der Liga schon ein paar richtig Gute dabei! Wenn wir am Ende aufsteigen und ich habe ein Tor weniger, ist das für mich mehr wert als umgekehrt. Aber ich trage natürlich gerne weiter Tore dazu bei, dass wir erfolgreich bleiben.
Die Osterpläne lauten zusammengefasst: Sieg gegen Germania III am Gründonnerstag und dann mit der Familie entspannen?
Hür: So sieht es aus! Wir wollen am Donnerstag gewinnen und dann bin ich mit der Familie ein paar Tage in Berlin.