von Michael Kämmerer
So schön kann Fußball sein – vor allem wenn man am Ende zu den Siegern gehört. Die Partie zweier Teams, die in dieser Landesliga-Spielzeit bislang unter ihren Erwartungen geblieben sind, verdichtete sich auf eine intensive Schlussphase mit Toren und Platzverweisen in kurzer Abfolge. Abtswinds Nicolas Wirsching sorgte in der Schlussminute für den emotionalen Höhepunkt. Es wirkt so, als sei ihm diese Situation nicht angenehm. Im Mittelpunkt zu stehen, das scheint nicht sein Ding zu sein. Nicolas Wirsching setzt ein verschmitztes Lächeln auf, vielleicht um die Unsicherheit zu kaschieren, für die es doch gar keinen Anlass gibt. Siegtorschütze, Matchwinner, Mann des Spiels – Prädikate des Erfolgs, mit denen sich Fußballer an sich gerne schmücken lassen. Nicht aber dieser Nicolas Wirsching, der sich wohltuend abhebt von denjenigen seiner Zunft, die ihr Bad-Boy-Image mit wilden Tätowierungen und blinkenden Ohrringen pflegen. Wirsching, den sie Nici rufen – das klingt so schön verspielt –, kann man sich vorstellen wie den netten Jungen von nebenan, der älteren Damen die Einkäufe über die Straße trägt: höflich, zuvorkommend, wohlerzogen, bodenständig. Als der 22 Jahre alte Abtswinder nach dem Spiel gegen Viktoria Kahl über den erlösenden Moment seines Siegtreffers reden soll, erzählt er erst einmal von den Eigenarten des Spiels und blendet seine Leistung aus. Doch der Applaus der Fans macht deutlich, wie dankbar sie ihm für diesen Schuss in die Glückseligkeit sind, der Abtswind den zweiten Saisonsieg verschafft hat. Während Wirsching bei der Pressekonferenz spricht, pochen die Mitspieler von draußen mit ihren Fäusten gegen die Scheibe. Auch das ist eine Form der Anerkennung. Es liefen am Samstag die letzten Sekunden einer engen Begegnung, in der beiden Mannschaften die Verunsicherung anzumerken war, als der gebürtige Stammheimer aus dem Hinterhalt heranpreschte und den Ball ins lange Eck jagte. „Mir blieb nichts anderes übrig als abzuziehen“, glaubte Wirsching, der sich seit einem Jahr in Abtswind wohlfühlt, den sie – wie viele andere verdiente Spieler – bei den Würzburger Kickers nicht mehr gebrauchen konnten, weil sich der Klub zu Höherem berufen fühlte. Es sagt viel aus über die momentane Spielweise des TSV Abtswind, die personelle Lage und den Mut zur Improvisation aus, wenn ein defensiver Mittelfeldmann wie Wirsching, einer der Sechser, der bisher nicht auf Torerfolge verpflichtet war, binnen drei Tagen zwei entscheidende Treffer landet. Im Pokal unter der Woche beim Kreisligisten Dettelbach hatte er mit dem frühen 1:0 den Sockel zum Weiterkommen gelegt (Endstand 2:0). Von Wirsching wird in Abtswind normalerweise anderes verlangt als Torjubel auszulösen. Der 22-Jährige steht für Kärrnerarbeit, für die Mühen der Ebene, für Mannschaftsdienlichkeit – eine Position, die zu seiner Persönlichkeit passt. Bloß weil er nicht schillernd spielt, heißt das nicht, dass er entbehrlich sei. Womöglich sind es gerade diese Werte, auf die sich Abtswind in der momentanen, keineswegs einfachen Lage besinnen muss. Der Sieg gegen Kahl war ein Stück weit auch dem Glück geschuldet, das die Truppe von Trainer Thorsten Götzelmann zuletzt so sehr vermisste. Im Abschluss zeigte sich das besonders. Vor Wirschings Traumtor hatte schon Jörg Otto richtig zugetreten und das Leder aus ruhender Position zur Abtswinder Führung ins Netz geschnippt (77. Minute). Die letzten gut fünfzehn Minuten zwischen Abtswind und Kahl hatten es fürwahr in sich: Aktionen, Aufregung, Gefühlsausbrüche beinahe im Minutentakt – Fußball von seiner packenden Seite und im Stenogrammstil. Kahls Serhat Yildiz machte in der 73. Minute den Anfang, schoss Torhüter Florian Warschecha den Ball auf die Patschehände. Auf der Gegenseite machte Jürgen Endres ein Tor, das nicht zählte, weil Schiedsrichter Niko Mäusbacher den Vorteil abpfiff und auf Freistoß entschied. Keine zwei Minuten später drosch Przemyslaw Szuszkiewicz den Ball in die Mauer der Gäste, Tolga Arayici nahm den zweiten Versuch, während Tim Müller sich auf der Torlinie in den Schuss schmiss, den mancher schon dahinter gesehen hatte. Die nächsten Abtswinder Großchance von Jörg Otto klärte Gabriel Akman per Kopf ebenfalls auf der Linie, bevor Otto zum 1:0-Freistoß schritt. Wenige Momente danach musste Abtswinds Carl Murphy mit Gelb-Rot vom Feld, dann auch der Kahler Akman. Und dennoch fiel der Ausgleich, den Tim Müller köpfend besorgte. Mit Patrick Smith verließ der nächste Gästeakteur gar mit Rot nach taktischem Foul im Mittelfeld den Rasen, ehe Nici Wirsching krachend den Schlussakkord in Dur spielte. Alles vor dieser ausschweifenden Endphase verlief ziemlich beschaulich und selektiv, alles in allem nicht sehr attraktiv. Wie es um das Seelenheil der Akteure bestellt war, zeichnete sich im Spiel ab. Kahl benötigte bis zur 52. Minute für die erste Möglichkeit. Abtswind hatte sich auf individuelle Momente besonnen: Jürgen Endres, der nominell den Angreifer gab, probierte sich mit einem überraschenden Vierzig-Meter-Schuss, der knapp über die Latte strich. Sodann flog ein Endres-Freistoß an die Latte, der von Ben Verberkt hingegen vorbei an allen, auch am Tor. Mathias Brunsch verfehlte per Kopf ebenfalls um Zentimeter. Ins harte Gefecht passte noch der Zusammenprall zwischen Kahls Bastian Schwalbe und Constantin Paunescu. Den Abtswinder erwischte es schwerer: Mit getrübten Sinnen, Kopfschmerzen und einer Beule auf der Stirn erlebte er die letzte halbe Stunde. Danach ging es zur Sicherheit ins Krankenhaus. Entwarnung.
Spielbericht eingestellt am 17.08.2015 09:12 Uhr