von fc-memmingen.de
Kurz vor Schluss führt Memmingen gegen Türkgücü München, dann kommt die kalte Dusche. Warum Trainer Kahric bei seinem Debüt eine böse Vorahnung hatte.
Eben noch im Freudentaumel, wenig später am Boden zerstört – selten lagen Freud und Leid näher beieinander als beim Regionalliga-Heimspiel des FC Memmingen am Samstagnachmittag gegen den Tabellenführer Türkgücü München. In der 89. Minute führt der FCM noch mit 3: 2, die Landeshauptstädter spielen in Unterzahl - eine unglückliche Grätsche im Strafraum, ein Pfiff: Elfmeter für die Gäste. Kasim Rabihic tritt an ... Und verwandelt. Jubel bei Türkgücü, doch zu früh gefreut. Weil gleich zwei Münchner zu früh in den Strafraum gestartet waren, wird der Strafstoß wiederholt. Erneut macht sich Rabihic bereit – und scheitert an FCM-Torwart Felix Thiel. Die Arena bebt. Drei wichtige Punkte im Abstiegskampf scheinen Memmingen sicher. Doch nur sechs Minuten später übermannt die Enttäuschung die Allgäuer Spieler – fassungslos das Gesicht in den Händen begraben, sitzen und liegen sie auf dem abgenutzten Rasen. Endstand 4: 3 – für den Gegner.
Durch diese Niederlage in einer der turbulentesten Fußballspiele, die das Allgäu in den letzten Jahren gesehen hat, rutschen die Memminger auf den vorletzten Tabellenplatz 17, der den direkten Abstieg zur Folge hätte. Nach 1: 0-Führung lagen die Allgäuer in Hälfte zwei bereits 1: 2 zurück, drehten die Partie auf 3: 2 und gingen am Schluss dennoch leer aus (Spielverlauf siehe Infokasten rechts). In den Minuten 90+1 und 90+4 trafen die Oberbayern zwei Mal und verschärften damit die Krise der Maustädter, die im achten Spiel in Serie sieglos blieben. FCM-Trainer-Rückkehrer Esad Kahric sagte nach seinem erst so verheißungsvollen und dann so niederschmetternden Debüt noch vollkommen perplex: „Für uns ist das brutal. Nach so einem Fight hätten wir Punkte verdient gehabt.“
„Das ist so bitter“, haderte auch Memmingens niedergeschlagener Olcay Kücük, der seine Farben nach zwölf Minuten in Führung geschossen hatte. Er ergänzte: „Wir haben gut dagegen gehalten, jeder hat alles gegeben und trotzdem hat es wieder nicht gereicht.“ Dabei hatte sein Team zwischenzeitlich sogar mehrmals die Entscheidung auf dem Fuß. „Wir hätten uns belohnen müssen. Das tut extrem weh“, sagte auch Offensiv-Kollege Marco Nickel, der beim Stand von 3: 2 gleich eine Doppelchance hatte, den Sack endgültig zuzumachen. „Rückblickend hätte ich mir vielleicht mehr Zeit für den Abschluss nehmen sollen, aber im Spiel dachte ich, ich muss sofort draufhalten“, sagte er und fügte kleinlaut das Wort mit „S-C-H“ an.
Ganz anders die Gemütslage bei einem der strahlenden Sieger, Furkan Kircicek. Der Flügelflitzer hatte den FCM im Sommer verlassen, um in München Profi zu werden. „So ein verrücktes Spiel habe ich noch nie erlebt, richtig krass. Für Memmingen tut mir das unglaublich leid. Aber wir wollen immer gewinnen“, sagte er. Er ergänzte: „Wir haben eine überragende Moral gezeigt. So spielt eine Spitzenmannschaft und so steigt man am Ende auch auf.“ Er habe keine Zweifel daran, dass der FCM mit derartigen Leistungen noch genug Punkte im Abstiegskampf holen werde.
Bei den Allgäuern gab überraschend Stefan Heger, zuletzt spielender Co-Trainer in der Reserve, ein Comeback im Regionalliga-Kader. „Ich habe das nur gemacht, weil ich Esad gut kenne. Es ist eine Notsituation und wir müssen zusammenstehen“, erklärte er. Seine Rückkehr werde eine Ausnahme bleiben. Münchens Coach Reiner Maurer, einst auch Trainer des FCM, analysierte nüchtern: „Wenn man so ein Spiel, das man quasi schon verloren hat, in Unterzahl dreht und noch gewinnt, ist das eine tolle Sache.“ Sein Team habe das „Glück des Tabellenführers und das Selbstvertrauen“ auf seiner Seite gehabt. Der Sieg sei „glücklich, aber sicher nicht unverdient.“ Gegen die angriffsschwachen Memminger drei Gegentore zu kassieren, zeige, dass das Defensivverhalten von Türkgücü mangelhaft war. Sein Gegenüber Kahric, dessen erste Station in Deutschland übrigens Türkgücü München war, war nach seinem Debüt gespalten: „Wir haben gegen die beste Mannschaft der Liga ein ordentliches Spiel gemacht.“ Aber: Seine Schützlinge hätten die Chancen zum 4: 2 nutzen müssen und seien in den Schlussminuten „zu naiv“ gewesen. „Ich hatte da schon ein Scheiß-Gefühl“, sagte Kahric.
Hettich: „Schlussphase war extrem emotional und verrückt“
Münchens Sportdirektor Robert Hettich, der sich während des Spiels wiederholt wie Rumpelstilzchen an der Linie bewegte, fand zumindest nach Spielschluss die richtigen Worte: „Für so ein Spiel kannst du kein Drehbuch schreiben und wenn doch, dann bist du ein Märchenerzähler. Solche Spiele gibt es nur alle paar Jahre, wenn nicht sogar alle Jahrzehnte. Die Schlussphase war extrem emotional und verrückt.“
Spielbericht eingestellt am 02.12.2019 10:24 Uhr