Geschichten des Amateurfußballs: Abbruch, weil der Traktor aufs Spielfeld stürzt - fussballn.de
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Artikel veröffentlicht am 26.11.2020 um 09:00 Uhr
Geschichten des Amateurfußballs: Abbruch, weil der Traktor aufs Spielfeld stürzt
Den ganz normalen Wahnsinn in der kunterbunten Welt des deutschen Amateurfußballs beschreibt Autor Daniel Aschoff mit seinem neuen Buch „Wir müssen doch alle Montag wieder arbeiten“.  Es ist eine Liebeserklärung an den "echten" Fußball – ohne viele Zuschauer, aber mit harten Grätschen, echter Leidenschaft und manch unglaublicher Geschichte.
Von Redaktion
fussballn.de / Kögel
Da köpft der 61-jährige Fußball-Opa den krassen Außenseiter zum Derbysieg. Da reicht dem Tabellenführer ein 37-Tore-Vorsprung vorm letzten Spieltag nicht zum Aufstieg. Da wird der Schiedsrichter nach der x-ten Niederlage der Heimmannschaft nicht vom Platz gejagt – sondern kurzerhand als Trainer verpflichtet. Da schießt der Libero drei Hattricks – nicht in der gesamten Saison, sondern in nur einem einzigen Spiel. Da stürzt ein Traktor auf den Sportplatz und sorgt für einen Spielabbruch.

Daniel Aschoff hat aufgeschrieben, was auf Deutschlands Sportplätzen tatsächlich passiert. Herausgekommen ist eine Ode an den Fußball an der Basis, der auf Asche und Acker passiert. Eine der 26 Episoden spielte auch im Kreis Erlangen/Pegnitzgrund - genauer gesagt in der Kreisklasse 2 in der Saison 2008/09.

Germania Forchheim: Vom Tabellenkeller ins Fernsehen

Es waren komplizierte Entscheidungen, die der Germania-Vorsitzender Lothar Walenta in der Saison 2008/2009 fällen musste: Zum Beispiel, ob er an der Anzeigetafel einen weiteren Nagel einschlagen soll, um zu gewährleisten, dass auch zweistellige Ergebnisse vermeldet werden können? Denn zweistellig verlor die Mannschaft, die sich zum Teil aus Freizeitkickern der Tresen-Mannschaft der Forchheimer Kneipe „Seitensprung“ rekrutiert, eigentlich immer. Mal 0:22, mal 0:25, und als Anfang Oktober endlich das erste Tor für Germania fiel, war der Jubel groß.

Nach den ersten 17 Ligaspielen sah dann auch die Bilanz eher ernüchternd aus: kein Sieg, nur vier Tore und schon 334 Gegentreffer, im Schnitt verlor Germania 0:20. Erst einmal blieb es bei einer einstelligen Pleite. Das erste Tor schoss Forchheim am 11. Spieltag, beim 1:25 gegen Vestenbergsgreuth. Danach gab es 100 Liter Freibier.

Zu dem sportlichen Niedergang kam der finanzielle: Ein Katastrophenjahr habe er hinter sich, sagte Walenta. Die Germania stand ausgerechnet zu ihrem 100. Geburtstag vor dem Aus. Es ging um Prämien und Geld, das der Klub nicht mehr hatte und um 26 Spieler, die vor der Saison gingen, weil Walentas Vorgänger Versprechungen gemacht hatte, die nicht zu halten waren. Und weil die Forchheimer auch die Jugendarbeit vernachlässigt hatten, musste eine Thekenmannschaft zur Rettung einspringen. „Manche wussten anfangs nicht mal, dass das Runde ins Eckige soll“, scherzte Walenta, der den Tiefpunkt am 9. August 2008 gegen den Baiersdorf SV II erlebte: 0:34 endete die Partie aus Sicht der Germania Forchheim.

Eine Münchner Lokalzeitung war die erste, die über die erfolglose Truppe berichtete. Danach ging der Medientrubel über die Anti-Stars erst so richtig los: Plötzlich berichtete Günther Jauch, dann klingelte Johannes B. Kerner für seine Sendung „Menschen 2008“ an. Dort saßen die wenig talentierten Kicker dann neben Rapper Bushido und plauderten über ihre Fehlschüsse. Es ging gar so weit, dass ein regionaler Radiosender einen Kontakt zum FC Bayern vermittelte. Torwarttrainer Walter Junghans kümmerte sich um die Schießbude der Nation. „Er hat unsere Jungs zwei Stunden lang gescheucht. Das waren die gar nicht gewohnt.“

Selbst in "Menschen 2008" trat das Team dann auf, als schlechtestes Mannschaft Deutschlands.
privat

Doch selbst diese Sondereinheit brachte am Ende wenig Ertrag: Als „Stern-TV“ den Cup der Verlierer auslobte und Forchheim gegen Inter Bochum 2003 antreten ließ, zog man trotzdem den Kürzeren. Dabei war die Mannschaft aus dem Pott zumindest auf dem Papier noch schlechter als die Oberfranken (16 Spiele, 2:346 Tore). Dennoch verloren die Oberfranken das Duell um „Deutschlands schlechtestes Team“ mit 1:2. Der Verliererpokal, „ein Rieseneimer“, steht seither bei Lothar Walenta auf dem Schreibtisch. Und dennoch, sagt er, sei es eine nette Begegnung gewesen. Von den 200 Litern Siegerbier überließen ihnen die Bochumer die Hälfte.

Am Ende blieb der Ertrag aus der medialen Präsenz eher gering. Zwar stieg der Zuschauerschnitt der Germania von 50 auf 100, wenn das Fernsehen da war, kamen gar 500 Besucher. Bis auf die Bezahlung der Schiedsrichter konnte der Verein aber keine großen Sprünge machen. Verbindlichkeiten von rund 100.000 Euro standen zu Buche.

„Wir haben extreme Aufmerksamkeit bekommen, aber keine Sponsoren. Das hat alles nichts gebracht“, resümiert Walenta. Vielmehr weckte die Forchheimer Umtriebigkeit Neider und Kritiker, die die Masche anprangern, weil sie selbst mühsam arbeiten im Schatten der hofierten Verlierer. „Wir spielen Fußball, was die machen, fällt unter Zirkus“, sagt einer jener Unzufrieden.

Am Ende ging’s dann aber doch nochmal um den Sport. In der letzten Partie der Saison trat Forchheim in Neuhaus an. Nach zwei Platzverweisen – auch der Torwart flog raus – spielten sie zu neunt. Dafür klingt das Ergebnis fast wie ein Sieg: Die Partie endete nur 0:13 – und Forchheim stieg damit endgültig in die A-Klasse ab.

Dort startete der älteste Fußballverein im Landkreis Forchheim unter Andreas Tschorn in der Saison 2010 einen Neuanfang. Langsam aber kontinuierlich ging es bergauf. Die Saison 2010/11 schloss man mit 9 Punkten ab. In der Saison 2011/12 standen schon 15 Punkte auf dem Konto, gar 20 waren es in der Saison 2012/13.

Doch auch dieser Aufschwung war endlich: Zum 31. Dezember 2014 löste sich die Abteilung Fußball des 1. FC Germania 08 Forchheim nach über 106 Jahren auf. Auch der Rest des Vereins wurde abgewickelt. „Das war die logische Konsequenz, nachdem aufgrund Spielermangels keine Germania-Mannschaft mehr zu einem Spiel antrat“, hieß es auf der Facebook-Seite des Vereins. Die Facebook-Seite blieb zur Erinnerung an den ältesten Fußballverein im Landkreis Forchheim bestehen: „Denn die gemeinsamen einmaligen Erlebnisse kann uns niemand nehmen. Traurig, aber ohne Groll denken wir zurück an tolle 106 Jahre Tradition mit vielen großen Fußballschlachten und verneigen uns in tiefer Dankbarkeit vor dem einzigartigen 1. Fußball-Club Germania gegr. 1908 e. V. Forchheim!“

Buch-Verlosung:
Für alle, die speziell wissen möchten, wie ein Traktor einen Spielabbruch verursachte, und auch die weiteren 25 Heldengeschichten aus der Welt des Amateurfußballs lesen wollen, verlost fussballn.de ein Exemplar von „Wir müssen doch alle Montag wieder arbeiten“! Verlost wird das Buch unter allen Einsendungen, die mit dem Betreff "Buch-Gewinnspiel" per Mail an gewinnen@fussballn.de bis zum 27.11.2020 eingegangen sind! 


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Das Buch

Taschenbuch: 182 Seiten
ISBN-13: 979-8559019147
Herausgeber: Independently published (8. November 2020)
Sprache: Deutsch


Der Autor

Daniel Aschoff, ehemaliger Sportredakteur bei der Münchner Abendzeitung, hat selbst jahrelang in einer der untersten Fußball-Ligen in Süddeutschland gekickt. „Wir müssen doch alle Montag wieder arbeiten“ ist seine dritte Buchveröffentlichung nach „Schreiben Sie einfach mal was…! Bedienungsanleitung für Ghostwriter“ und „Achilles – auf zwei Krücken durch Europa“. Er lebt in München und ist Familienvater von zwei Kindern.

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