Thomas Jäger im Interview: Der letzte Lockdown hat die Lage verschlimmert! - fussballn.de
Artikel vom 27.04.2022 07:00 Uhr
Thomas Jäger im Interview: Der letzte Lockdown hat die Lage verschlimmert!
Bezirksspielleiter Thomas Jäger
Sebastian Baumann

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INTERVIEW Am Sonntag steigt der BFV-Bezirkstag in Mittelfranken in der Fürther Stadthalle. Im fussballn.de-Interview der Woche spricht Bezirksspielleiter Thomas Jäger (50) über aktuelle Sorgen im Amateurfußball, Lösungsansätze, die Problematik der Planbarkeit in Pandemiezeiten und vieles mehr auf und neben den Plätzen der Region.
Von Marco Galuska


Mit welchen Gedanken hat man als Bezirksspielleiter die Spieltage rund um Ostern erlebt?

Thomas Jäger:
Aufgrund der Wettervorhersagen eigentlich relativ entspannt, aber immer in der Habachtstellung, man musste die Pokalspiele mit beachten und da der Großteil der Vereine dann doch mehrmals ran musste, auch mit ihren 2. Mannschaften. Deshalb war schon ein bisschen Arbeit zu tun.

Fünf Absagen in der Bezirksliga gab es in dieser Saison schon, Landesligisten sagen im Pokal ab oder treten mit Feldspielern im Tor an. Führt Corona zu einer Ausnahme-Saison oder muss man sich um den Spielbetrieb längst viel größere Sorgen machen?

Jäger:
Sorgen und Gedanken macht man sich als Funktionär eigentlich immer. Und seit März 2020 spielt man auch immer sämtliche Optionen in Gedanken durch. Aber die Saison 2021/22 ist schon eine besondere. Zum einen war der Starttermin schwer vorauszusagen, denn weiter als vier Wochen im Voraus war nichts zu planen. Zum anderen hat uns Ende des Jahres dann "Tante Covid" doch wieder besucht. Und Schnee im April gab's auch noch. Aber insgesamt wird es immer schwerer, Personen dazuzubekommen sich für etwas langfristig und zuverlässig zu verpflichten. Das betrifft sowohl Spieler und Schiedsrichter, aber auch Vereins- und Verbandsmitarbeiter.

Gerade in den unteren Ligen, wo einige 2. oder gar 3. Mannschaft gemeldet sind, hat man die Auswirkungen mit Nichtantretungen gespürt. Von den SF Großgründlach kam in einem Offenen Brief die Forderung nach mehr Flexibilität, bis zu einer gewissen Freiwilligkeit in einer nichtaufstiegsberechtigten Reserve-Runde zu spielen. Was kann der BFV – nachdem die Kreistage schon gelaufen sind – noch anbieten und woran müsste man dringend arbeiten, um den Spielbetrieb in den untersten Klassen nicht austrocknen zu lassen?

Jäger:
Es waren dieses Jahr extrem viele Nachholspiele in allen Spielklassen, das stimmt. Aber trotzdem ist mir die Forderung, dass der Verband etwas tun muss zu billig. Die Ansetzungen bzw. die Anzahl an Nachholspielen waren ja vorher bekannt, trotzdem ist es zu diesem Thema nicht bei den Kreistagen gekommen. Einen Reserve-Spielbetrieb wie „früher“ auf Kreisebene kann man jederzeit wieder einführen, aber wenn dann für alle Mannschaften auf Kreisebene, ohne Ausnahmen! Das heißt, die 2. Mannschaft eines Bezirksligisten in der Kreisklasse müsste nach Abstieg der Ersten dann auch wieder als Kreisliga-Reserve spielen. Denn sonst wird es wieder wie vor 2010 und das war ja der Grund, warum man damals den Spielbetrieb auf aufstiegsberechtigt umgestellt hat. Ich möchte hier auf den Kreis Neumarkt/Jura verweisen. Dort haben bis auf zwei Mannschaften alle 2. Mannschaften die Vorspiele zu Hause und auch auswärts beim gleichen Gegner, besonders in den Kreis- und A-Klassen funktioniert das sehr gut. Dazu gibt es noch die Möglichkeit der flexiblen Mannschaftsstärke, 9er-Teams, und dass auf allen Ebenen im Kreis mit 14er-Ligen gespielt wird, bringt hier viel. Aber trotzdem gab es jetzt auch etliche Spielabsagen der 2. Mannschaften. Zusätzlich haben viele Spieler auch die Möglichkeit wahrgenommen, über Ostern seit langem zum ersten Mal wieder in den Urlaub zu fahren.

Wenn wir von 9er-Mannschaften sprechen, die es in Neumarkt/Jura in der B-Klasse gibt, ist das ein Modell der Zukunft für die untersten Klassen oder führt das nicht zum Anfang vom Ende des Fußballs, wie wir ihn hatten?

Jäger:
Wenn man nichts ändert, während sich alle anderen Parameter verändern, dann führt das irgendwann ins Aus! Wie weit 9er-Mannschaften die Zukunft sind, kann ich nicht sagen, aber aktuell helfen sie uns, den Status Quo länger beizubehalten. Etliche Vereine würden, wenn es die 9er-Teams nicht gäbe, gar keine 2. Mannschaft melden, so aber haben sie die Möglichkeit weiterzuspielen und ein Großteil der 9er-Mannschaften spielt ja dann auch etliche Spiele mit elf Spielern. Das System gibt von 7-gegen-7 bis 11-gegen-11 alles her. Es kommt auch vor, dass zwei 11er-Mannschaften mit 9-gegen-9 gegeneinander spielen. Man muss sich ja nur untereinander einigen. Mehr Flexibilität zur Erhaltung von Mannschaften geht doch nicht. Wir müssen aber auch hier das Beste für die Mehrheit der Vereine versuchen.

Mit Corona als Brennglas der Probleme: Haben viele Vereine ihre Kapazitäten einfach überschätzt oder hat auch der Verband die Möglichkeiten seiner Vereine falsch bewertet?

Jäger:
Ehrlich gesagt, hatten wir eigentlich schon zu Beginn der Saison mit weniger Mannschaften gerechnet.

Kommt der Rückgang der Meldungen nun mit einem Jahr Verzögerung?

Jäger:
Ich gehe davon aus, dass noch einige Abmeldungen zum Saisonende hin folgen werden. Es zeigt sich derzeit in den Nichtantritten, dass die Vereine für manche Mannschaften einfach keine Spieler mehr haben. Der letzte Oktober/November mit dem erneuten Lockdown hat die Lage verschlimmert, danach haben dann viele Spieler nicht mehr gewollt. Man wird es sehen, inwieweit die Mannschaften für die kommende Saison noch gemeldet werden oder sich Vereine auch auf Spielgemeinschaften verständigen können.

Bei der Gestaltung des Terminkalenders wurde das Thema der „Alternativen Spielmodelle“ ja auch in den Bezirksligen vor der laufenden Saison diskutiert und mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Sind Vereine grundsätzlich zu wenig offen für Veränderungen?

Jäger:
Ich würde es anders formulieren: Der Verband ist wesentlich flexibler als die Vereine. Aber Fußballer sind halt Traditionalisten und möchten meistens alles so lassen wie es ist. Und es kommt immer darauf an, wen man fragt: Vorstand, Abteilungsleiter, Trainer, Spieler oder Zuschauer. Zusätzlich wurde einem ja letzten Sommer suggeriert, das jetzt alles wieder „normal“ wird. Aber Karl Lauterbach hatte mal wieder Recht.

Siegerehrung im Kreispokal Nürnberg/Frankenhöhe 2021.
SVG

Nun gibt es ja Erfahrungswerte aus der Landesliga Nordost. Sollte man eher die Finger von einem solchen Modell lassen oder rufen die Terminprobleme vielmehr zu einer neuen Diskussionsrunde auf?

Jäger:
Im klassischen System wären es in der Landesliga Nordost 38 Spieltage gewesen, da hätte es zwischen sechs und acht Wochenspieltage gegeben - und das ohne Corona, Wetter und Spielverbot im November. Also war die Entscheidung für ein Alternativmodell definitiv richtig - man könnte ja mal die Vereine in der Bayernliga Süd dazu befragen. Dass man das Modell nach der Saison noch einmal bewerten und gegebenenfalls auch anpassen muss, war von Beginn an klar, und dass es einzelne Vereine gibt, wie beispielsweise den TSV Kornburg, die sich über den Modus beschweren, ist auch nachvollziehbar.

Welche Stellschrauben gäbe es noch, wenn es weiter bei der klassischen Liga bleiben soll?

Jäger:
Die Anzahl der Wochenenden bleibt immer gleich. Also bleibt, um weniger Termine zu haben, nur die Anzahl der Mannschaften pro Liga zu verkleinern. Da ist die Rechnung einfach: 18 Mannschaften benötigen 34 Spieltage, bei 16 Mannschaften hat man 30 Spieltage und bei 14 Mannschaften bleiben 26 Spieltage.

Bleiben wir konkret beim Beispiel der mittelfränkischen Bezirksligen: Mit dem Wissen aus dieser Saison. Wie lassen sich diese Terminhäufungen, wie wir sie aktuell erleben, in der kommenden Saison umschiffen?

Jäger:
Der Terminus „Terminhäufung“ ist nicht richtig. Wir hatten das schon zu Ludwig Beers Zeiten, dass Vereine im Frühjahr in einer Woche nicht nur drei, sondern vier Spiele spielen mussten. Heuer waren es einfach mehr Mannschaften, die es getroffen hat - Corona "sei Dank". Ich habe in Vorbereitung auf die Rahmenterminplangestaltung für die kommende Saison die Bezirksligisten aktuell abgefragt: Auch mit Bezug auf die aktuelle Situation wollen dann trotzdem wieder viele keine Wochenspieltage am Anfang der Saison, was unwiderruflich zu Englischen Wochen im April führen wird, andere wollen zwar Englische Wochen vor der Winterpause, aber nicht im August, wo man ohne Flutlicht spielen kann. Aber nicht jeder hat ein „spielfähiges“ Flutlicht. Derzeit sind wir im Bezirksspiel-Ausschuss am Erarbeiten des Rahmenterminplan für die Saison 2022/23.

Ist denn die Priorität des Pokalwettbewerbs dabei noch angemessen?

Jäger:
Wenn es um den Toto-Pokal geht: ja! Es muss ja keiner mitspielen, aber die meisten, wenn sie dann mal Richtung Viertel- oder Halbfinale unterwegs sind, wollen dann doch gewinnen. Es gibt ja auch für einen kleinen Verein richtig gutes Geld zu gewinnen. Nicht zu vergessen, die Bälle für die Vereine, die ihre Vorrundengruppen gewinnen.

Ist es überhaupt noch realistisch, dass man bei den Prognosen in Richtung Herbst überhaupt noch eine Hallensaison plant?

Jäger:
Ein schwieriges Thema! Wir reden von einem Zeitraum von acht Monaten, die Politiker schaffen es manchmal keine vier Wochen. Planen ist ja noch relativ einfach, aber was dann wird...? Es sind trotzdem wieder Kreis-, Bezirks- und Bayerische Meisterschaften geplant, wobei vermutlich ein Ligaspielbetrieb in der Halle bei den Prognosen einfacher durchzuführen wäre. Also planen wir hier auch zweigleisig.

Auf eine Hallensaison mussten die Vereine schon zwei Jahre verzichten. Die Zukunft steht auch noch in den Sternen.
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Mit all den Problemen, Sorgen und Ängsten, die an der Fußballbasis zu finden sind – macht es den Job des Bezirksspielleiters umso reizvoller oder belastender?

Jäger:
 Sowohl als auch. Langeweile wäre wohl auf Dauer das Schlimmste, Herausforderungen gehören auch dazu. Für mich persönlich haben Neuerungen immer ihren Reiz.  

Am Sonntag steigt der Bezirkstag in Fürth. Sind personelle Veränderungen auf Funktionärsebene zu erwarten?

Jäger:
 Es werden zumindest alle aus dem bisherigen Bezirksausschuss auch wieder zur Wahl antreten. Im Übrigen haben alle Herren-Mannschaften ab der Bezirksliga aufwärts eine Stimme am Bezirkstag, bei dem es anders als bei den Kreistagen keine Stimmenbündelung mehr geben wird. 

Rainer Koch wird – anders als auf den Kreistagen – persönlich anwesend sein und damit einen seiner letzten Auftritte als BFV-Präsident haben. Werden die Delegierten auf dem Bezirkstag auch schon den potentiellen Präsidenten-Nachfolger kennenlernen?

Jäger:
Bisher haben die drei Kandidaten Robert Schraudner aus Oberbayern, Christoph Kern aus Schwaben und Christian Bernkopf aus Niederbayern offiziell ihren Hut in den Ring geworfen. Da es keinen mittelfränkischen Kandidaten gibt, gehe ich nicht davon aus, dass einer der Kandidaten anwesend sein wird.

Nachdem sich der DFB einen Neuanfang auf die Fahnen geschrieben hat - welche Veränderungen sind mit einem neuen Präsidenten im BFV zu erwarten? 

Jäger:
 Das ist eine schwere Frage und wird sicher davon abhängen, wer am Verbandstag gewählt wird. Da bringt sicherlich jeder der Kandidaten seine eigenen Vorstellungen und seinen eigenen Führungsstil mit. Das ist auch gut so. Große strukturelle Veränderungen wird es aber nicht geben, da vieles an die Satzung gebunden ist.

Noch einmal zurück zu den Vereinen: Das Ehrenamt wird ja gerne auf viele Fahnen und Plakate geschrieben. Die Realität zeigt aber einen akuten Mangel derer, die ihre Freizeit für den Verein „opfern“. Wie geht man mit dem gesellschaftlichen Problem um, dass die helfenden Hände in den Vereinen immer weniger werden?

Jäger:
Hier muss man mal "das Ehrenamt" definieren. Es gibt die eine Seite, in der es um kurzfristiges Engagement geht, das hat man jetzt auch wieder bei den Flüchtlingen aus der Ukraine gesehen. Hier ist die Bereitschaft sich einzubringen sehr groß, andererseits gibt es die langfristige Bindung an ein Ehrenamt und hier wird es schwierig. Sich langfristig zu etwas zu verpflichten, über mehrere Jahre, dass ist derzeit nicht das Bestreben unserer Gesellschaft. Unsere Politiker müssen begreifen, dass diese Bundesrepublik ohne Ehrenamt tot ist - da geht gar nichts! Gleichzeitig bekommt man im Ehrenamt immer mehr Vorgaben, meistens seitens des Finanzamt. Eigentlich muss es genau anders herum sein: Wer etwas ehrenamtlich macht, sollte etwas davon haben - außer dem guten Gefühl.

Ewald Lienen hatte sich erst kürzlich darüber bitterlich beklagt, dass es in Deutschland nicht einmal einen eigenen Sportminister gibt. Müssten die Sportverbände nicht mehr tun, um die Rolle des Breitensports in der Gesellschaft gegenüber der Politik allgemein stärker zu vertreten?

Jäger:
Er hat hier nicht ganz Unrecht. Ob es ein eigenes Sportministerium sein muss, oder ob es vernünftig in einem anderen mit integriert ist, sei dahingestellt. Aber wie wichtig Sport ist, sieht man ja schon in den Schulen, da werden Stunden gekürzt und fallen aus. Sport muss viel wichtiger werden, besonders der Breitensport.

Konkurrierende Freizeitangebote, fehlende Vereinsverbundenheit, ein Mangel an Ehrenamtlichen, Schiris, Nachwuchs, eine Überalterung in Mannschaften, finanzielle Schwierigkeiten an der Basis. Habe ich in der Aufzählung der Sorgen um „unseren Amateurfußball“ noch etwas vergessen?

Jäger:
Die Aufzählung ist relativ vollzählig.

Mit welchem Grundsatz soll der Fußball im Bezirk und seinen Kreisen durch die nächsten vier Jahre gesteuert werden?

Jäger:
Miteinander reden, nicht übereinander!

Welche Hoffnung darf man den Leuten geben, die den Amateurfußball vor Corona zurück haben wollen?

Jäger:
Man muss ja ehrlicherweise sagen, dass auch vor Corona nicht alles gut war. Corona hat den Finger verstärkt in die Wunde gelegt. Man wird spätestens bei den Meldungen der Jugendmannschaften im Herbst sehen, welche Spuren das Ganze hinterlassen hat.

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